Landmobilität der Bundeswehr – Trennung von Funktionalität und Mobilität

Dieser Artikel ist der Zweite von fünf einer Reihe, der in den Newslettern des Blauer Bund e.V. fortgesetzt wird. [Red]

Die in den letzten Jahren geänderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen führten nach Jahren der ausschließlichen Konzentration auf Einsätze im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements zu der Erkenntnis, dass es notwendig geworden ist, zusätzlich die umfassende Befähigung der Bundeswehr zur kollektiven Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) zurückzuerlangen. Entsprechende Untersuchungen zum zukünftigen Charakter der LV/BV und dessen Auswirkungen werden im Zuge der Erarbeitung und Fortschreibung des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr (FPBw) seit 2017 durchgeführt.

Ziel der Befähigung zu kollektiver LV/BV ist neben der Sicherstellung der Integrität von nationalen Gewässern und des Luftraums in besonderem Maße die territoriale Integrität auf dem Land. In einem symmetrischen Konflikt um (Land-)Raum müssen daher immer auch ausreichend starke und durchhaltefähige Landstreitkräfte zur Verfügung stehen.

Die Durchhaltefähigkeit der Landstreitkräfte wird zu einem wesentlichen Teil durch logistische Fähigkeiten sichergestellt. Dabei ist es erforderlich, auf sich ändernde Lagen sowohl operativ als auch taktisch flexibel reagieren zu können. Hierzu bedarf es einer Weiterentwicklung der Landmobilität in den Streitkräften.

Der unterschiedliche Charakter von LV/BV zu Stabilisierungsoperationen wirkt sich auch auf szenarabgeleitete Fähigkeitsforderungen aus. Daher wurde im Zuge der Untersuchungen zum FPBw ein neues Konzept Landmobilität der Bundeswehr erstellt, das in vier Gestaltungsfeldern die Leitlinien für die zukünftigen Fähigkeiten in der Landmobilität festgelegt.

Bild: Schematische Übersicht der Gestaltungsfelder

Neben den eher technischen Gestaltungsfeldern „Schutz“, „Kraftstoffresilienz“ und „Automatisierung und Unbemanntes Fahren“ ist die „Trennung von Mobilität und Funktionalität“ ein vorrangig funktionales Gestaltungsfeld, dessen Umsetzung die Flexibilität und Durchhaltefähigkeit von Landstreitkräften einschließlich der unterstützenden Truppenteile in taktischer und logistischer Hinsicht maßgeblich erhöht.

In dieser Betrachtung ist Logistik nicht auf die Truppenteile begrenzt, die diese als Hauptauftrag haben, sondern ausdrücklich auch auf die Kräfte bezogen, die logistische Aufgaben in Verbänden mit anderem Hauptauftrag wahrnehmen. Es geht also vor allem darum, logistische Ketten und generelle Grundsätze zu betrachten, die geeignet sind, bspw. durch Standardisierung und ihre schiere Häufigkeit in der Bundeswehr, maßgeblich Einfluss auf die gesamte Logistik zu nehmen. Dort birgt sich systemisch die Chance, durch das Stellen genereller Weichen einen großen Benefit für die spätere Durchführung der Logistik zu generieren. Ziel ist es hierbei demnach, Festlegungen zum Zwecke der der Effizienzerhöhung zu treffen.

Vorgaben

Um dieser Effizienzerhöhung durch konsequente Berücksichtigung der Trennung von Funktionalität und Mobilität innerhalb der logistischen Kette zu ermöglichen, sind unter anderem standardisierte Schnittstellen vonnöten. Hierzu wurden erste Grundlagen bereits im Jahr 2017 mit den Durchführungsbestimmungen zum Leitfaden „Standardisierte Befestigung von Ladung auf LKW der Bundeswehr“ gelegt. Diese zeigen bereits detailliert auf, welche Rahmenbedingungen und Abhängigkeiten gelten. Unter anderem wird dort schon dezidiert bis auf die Ebene der benötigten bzw. nutzbaren Umschlagmittel für das Auf- und Absetzen der Funktionsträger eingegangen. Durch diese technischen Vorgaben wird zusätzlich größtmögliche Kompatibilität mit der zivilen Logistikbranche erreicht, was einer belastbaren und möglichst bruchfreien Transportkette militärischer und gewerblicher Leistungserbringer zuträglich ist. Insgesamt werden durch konsequente Berücksichtigung der Trennung von Funktionalität und Mobilität wesentliche Synergiepotentiale möglich, so dass es folgerichtig ist, dass dieses Thema im Konzept Landmobilität der Bundeswehr ein eigenes Gestaltungsfeld darstellt.

Ziel war es von Anfang an, den Projektleitern der jeweiligen integrierten Projektteams eine Richtschnur an die Hand zu geben, um systemunverträgliche Lösungen oder widerstreitende funktionale Forderungen zu vermeiden. Zusätzlich galt es, die beiden maßgeblichen Bedarfsdeckungsmöglichkeiten in der Landmobilität – eigenbewirtschaftet (Kauf) und durch einen Dienstleister (BwFPS) bereitgestellt – so zu berücksichtigen, dass beide Wege auch unter Berücksichtigung dieser Vorgaben gangbar sind.

Bild: Beispiele für Auflastung Funktionalitäten am Beispiel LKW 2t hümS

Damit wirkt sich diese neue Systematik bereits heute positiv auf die Mammutaufgabe der Regeneration der querschnittlichen logistischen Lkw, die quantitativ größte Fahrzeugflotte der Bundeswehr mit einem Alter von über teilweise 40 Jahren, aus.

Dabei hat sich sehr schnell die Kernidee verfestigt, Funktionsträger [1] fahrzeugunabhängig bereitzustellen und über standardisierte und handelsübliche Schnittstellen mit einer Vielzahl von Fahrzeugen mobil machen zu können. Die konsequente Anlehnung an die handelsübliche Norm (ISO 668 Frachtcontainer – Klassifizierung, Abmessungen und Gesamtgewicht) sowie das bereits übergreifend eingeführte Befestigungssystem „Twistlock“ bilden die Arbeitsgrundlage, um künftig Funktionalitäten mit der benötigten Mobilität zu verbinden.

Zur Abgrenzung wurde in einem nächsten Schritt klargestellt, dass sich diese Vorgaben ausdrücklich nicht auf solche Fälle beziehen, die das Mitführen von Personen während der Fahrt in Funktionsräumen bzw. auf der Ladefläche beinhalten, was einer gesonderten Betrachtung bedarf. Auch für fahrzeugseitig integrierte Rüstsätze bzw. Rüstsatzanteile, die sich im Fahrerhaus bzw. am Funktionsraum befinden, gelten diese Grundgedanken ausdrücklich nicht (bspw. Funk).

Für die Umsetzung aller anderen Projekte wurden u.a. folgende wesentliche Vorgaben verbindlich festgelegt:

  • Zukünftige Lkw sollen über einen verwindungsarmen (u.a. tmil [2]/hümS [3]-Fahrzeuge) bzw. verwindungsfreien (u.a. hoch geländegängige Fahrzeuge) Containertragrahmen verfügen.
  • Solche Containertragrahmen müssen über Twistlock-Verriegelungen zur Anbindung nach ISO 668 und zusätzlich f6 2/3 ft und 15 ft-Aufnahmen mit der Standardbreite 8ft verfügen.
  • Aufteilung nach Zuladungs-/Nutzlastklassen und der Zuweisung bestimmter verbindlicher Hauptfunktionen wie folgt:
    • Materialtransportfahrzeuge (6 2/3 ft-Tragrahmen),
    • Lkw mit Zuladungsklasse 1t bis 3t (10 ft-Tragrahmen),
    • Lkw mit Zuladungsklasse 3t bis 10t (15 ft-Tragrahmen) und
    • Lkw mit Zuladungsklasse größer 10t (20 ft-Tragrahmen).

Dabei sollen die Vorrichtungen für die jeweils kleineren Maße quasi in Nebenfunktion vorhanden sein. Bspw. soll ein solcher 20 ft-Tragrahmen eines Lkw 15t zusätzlich Twistlock-Befestigungen für zwei 10 ft bzw. einen 15 ft-Container bieten.

  • Auch für Stückguttransporte notwendige Ladepritschen werden als Wechselpritschen in den oben genannten Maßen realisiert.

Mit diesen vergleichsweise wenigen Vorgaben wird die Grundlage einer möglichst hohen Flexibilisierung bei der auftragsabgeleiteten Kombination von Funktionalität (bspw. Ladungsträger) und Mobilität (Fahrzeug) gelegt.

Bild: Beispiele für Auflastung Funktionalitäten am Beispiel LKW 5t

In einigen Projekten sind heute noch Funktionsträger auf Ladeflächen bereits deutlich überalterter Fahrzeuge verlastet. Meistens handelt es sich dabei um Kabinen. Für diese Funktionsträger gilt es, entweder eine unmittelbare Verlastung auf den neuen Containertragrahmen per Twistlock herzustellen oder eine verwindungsfreie Adapterplattform oder andere Lösungen in den oben genannten Maßen zur Verfügung zu stellen, so dass diese Funktionen mittels neuer Lkw weiterhin beweglich nutzbar bleiben.

Die mit diesen Gedanken eingeleitete grundsätzliche Trennung des Funktionsträgers (bspw.  Kabine auf Containerbasis) vom Mobilitätsträger (Fahrzeug) erweitert das denkbare Einsatzspektrum enorm, was neben Flexibilität in der Bundeswehrplanung vor allem auch taktische Flexibilität beim jeweiligen Verbandsführer schafft.

Beispiel Gefechtsstandcontainer

Ein Beispiel soll den vielschichtigen Mehrwert in der konsequenten Anwendung verdeutlichen. Durch die Refokussierung auf LV/BV wird auch die Befähigung zum mobilen Führen wieder wichtiger als noch in Stabilisierungsoperationen. Insbesondere mobile Gefechtsstände auf Großverbandsebene (bspw. Brigade oder Division) haben eine essentielle Bedeutung.

Ohne die Trennung von Funktionalität und Mobilität, also Kabine/Container und Fahrzeug im festen Verbund, wäre aufgrund einer Bedrohungsableitung für einen solchen Gefechtsstand ein vergleichsweise hoher Schutz für die gesamte Einheit aus Kabine/Container und Fahrzeug zu fordern. Dies würde eine deutliche Kostensteigerung und Gewichtszunahme bedeuten, so dass in vielen Fällen abschlägig bezüglich der Forderung nach hohem Schutz zu entschieden wäre.
Bei konsequenter Anwendung der Trennung von Mobilität und Funktionalität ergibt sich jedoch ein grundsätzlich anderes Bild. Die Bedrohung für solche Gefechtsstandelemente ergibt sich meist erst im Wirkbetrieb, wenn die Funktionsträger abgeladen vom Fahrzeug zum Gefechtsstand zusammengefügt wurden und aus ihnen geführt wird. Auf dem Marsch ist dies durchgehend nicht der Fall, so dass während der Verlegung kein solcher Bedarf an erhöhtem Schutz besteht. Damit wird klar, dass der in Rede stehende Schutzbedarf lediglich für den Funktionscontainer besteht, jedoch nicht automatisch auch für das Fahrzeug. Dieses kann nach dem auch abgesetzt möglichen Aufbau des Gefechtsstandes disloziert von diesem sein. So kann zukünftig auch ein ungeschütztes Transportfahrzeug folgerichtig als Mobilitätsträger einem geschützten Gefechtsstandcontainer zugeordnet werden.

Durch die konsequente Berücksichtigung der größtenteils handelsüblichen Normen ist darüber hinaus erweiternd eine Nutzung ziviler Lkw als Mobilitätsträger möglich, wenn die sicherheitspolitischen Entwicklungen dies notwendig machen sollten. Damit lassen sich Szenare beantworten, die wieder in die Nähe eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls rücken und in denen bspw. ein unterstützender Rückgriff auf Kapazitäten ziviler Logistikunternehmen wieder in größeren Maßstäben mitgedacht werden muss.

Gesamtplanerisch kommt es nun also besonders darauf an, die Möglichkeiten dieses Gestaltungsfeldes bei allen Projekten der Landmobilität und der zugeordneten Funktionsträger bestmöglich und konsequent zu nutzen, um entlang der im Fähigkeitsprofil der Bundeswehr abgebildeten Zwischenschritte 2023, 2027 und 2031 sukzessive etwa komplett zur LV/BV befähigte Brigaden, auch unter dem Gesichtspunkt der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel, durchhaltefähig zur Verfügung zu stellen.

 Autor und Folien: BMVg, Plg II 5, Oberstleutnant i.G. Daniel Ulrich Gerlach, Grundsatzreferent

[1] Funktionsträger sind bspw. Funktioncontainer, Funkkabinen usw.

[2] tmil Fahrzeug – teilmilitarisiertes Fahrzeug

[3] hümS Fahrzeug – handelsübliches Fahrzeug mit militärischer Sonderausstattung