Die Kameradschaft Rhein/Lahn, konnte mit Herrn Wiss.Dir.a.D. Rolf Hilmes einen ausgewiesenen Panzerexperten zu diesem Thema gewinnen, der am 25. Oktober den Zuhörern im Soldatenheim in Koblenz Horchheim mit seinem Vortrag einen interessanten Einblick in seine Gedanken gewährte. Eine rundum gelungene Veranstaltung, so der Tenor der Zuhörer an diesem Abend.
1. Allgemeines.
Zum Beginn der Entwicklung eines zukünftigen Gefechtssystems müssen u.a. im Rahmen einer „Missions-Analyse“ inkl. einer korrespondierenden „Bedrohungs- Analyse“ die wichtigsten Eckdaten für die Rahmenbedingungen und die daraus resultierenden Forderungen an ein zukünftiges Gefechtssystem erarbeitet werden. Im Rahmen des erweiterten Aufgabenspektrums sind in Zukunft Einsatzspektren zu erwarten, die in der gesamten Bandbreite sowohl symmetrische Gefechte gegen einen mechanisierten Gegner – wie auch asymmetrische Gefechte (vorwiegend in urbanen Regionen) – umfassen:
Für das hoch-intensive Gefecht gegen einen gleichartigen Gegner – ist als „ultima ratio“ – ein duellfähiges Kampffahrzeug (vergleichbar dem heutigen Kampfpanzer) – erforderlich. Die Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass ein derartiges Kampffahrzeug in urb ops nur suboptimal geeignet ist:
Sowohl bezüglich des Bewaffnungskonzeptes wie auch des Sichtkonzeptes ist ein duellfähiges Waffensystem für Einsätze in urbanen Regionen wenig geeignet.
Auch bezüglich des Bedrohungsspektrums ergeben sich bei symmetrischen und asymmetrischen Gefechten deutliche Unterschiede:
An dieser Stelle sei insbesondere auf die extrem gefährliche Bedrohung von Waffensystemen im urbanen Einsatz durch Brandkampfmittel hingewiesen:
Auch sei auf den in Zukunft zu erwartenden „Cyber-War“ hingewiesen. Es ist zu erwarten, dass der Gegner im Rahmen des elektronischen Kampfes (EW; Cyber War) durch geeignete Störmaßnahmen den Funk- und Informationsraum zeitweilig „dicht“ macht – auch GPS-Signale können gestört oder verfälscht werden.
Hier bestehen erhebliche Zweifel, ob die Truppe auf derartige Störungen vorbereitet ist. Bei gegnerischen Störaktionen werden der Funkverkehr und alle Informationen aus dem Führungs- und Informationssystem (zumindest zeitweilig) ausfallen.
2. Konzeptionelle Überlegungen.
Wie bereits erwähnt, ist ein duellfähiges System aufgrund des Bewaffnungs- und des Sichtkonzeptes nicht optimal für Einsätze in einem urbanen Umfeld geeignet. Auch bezüglich des Schutzkonzeptes ergeben sich suboptimale Verhältnisse, da die meisten Flächen eines Kampfpanzers („Restflächen“) nur unzureichend geschützt sind:
Aus dem Bild ist erkennbar, dass die meisten Flächenanteile (rot) eines KPz nur über einen relativ geringen Schutz verfügen und z.B. einem Beschuss mit einer Panzerabwehr-Handwaffe nicht stand halten.
In urbanen Regionen ist jedoch mit einem Waffeneinsatz aus Gebäuden (d.h. aus Kellerfenstern bis hin zum Einsatz von Dächern) zu rechnen – damit unterliegen insbesondere die schwächer gepanzerten Partien eines KPz in derartigen Einsätzen einer hochgradigen Bedrohung.
Aus den Darstellungen ist erkennbar, dass ein Kampffahrzeug, welches für Einsätze in urbanen Regionen geeignet sein soll, über einen sphärischen Schutz – d.h. über einen allseitigen Schutz verfügen muss. Darin sind auch der Boden und die Dachflächen eingeschlossen:
Das Niveau des sphärischen Schutzes muss – und kann nicht dem Schutzgrad eines duellfähigen Fahrzeugs an dessen bestgeschützten Flächen (Flächengewicht: ca. 3 – 3,5 to/m2) entsprechen. Aber der sphärische Schutz muss mindestens dem Beschuss aus Panzerabwehr-Handwaffen standhalten. Gegenüber der Panzerfaust – granate PG-7V lässt sich heute ein solcher Schutz durch Sonderpanzerungen (Aufbaudicke: ca. 300 – 400 mm; Flächengewicht: ca. 350 – 450 kg/m2) in prakti- kabler Weise darstellen. Noch geringere Flächengewichte würden sich bei Einsatz einer Reaktiv-Panzerung ergeben.
Aus dem eben gesagten ist erkennbar, dass sich bei den Forderungen an ein duell- fähiges System und ein Gefechtssystem für asymmetrische Einsätze in urbanen Regionen erhebliche Unterschiede bezüglich:
- des Bewaffnungskonzeptes
- des Schutzkonzeptes
- des Sichtkonzeptes
bestehen.
Die Realisierung aller Forderungen in einem einzigen Fahrzeug („Universalsystem“) würde zu:
- zu einem sehr großen Fahrzeug,
- einem nicht mehr praktikablen Gefechtsgewicht (70 – 80 ++……to),
- zu einer nicht akzeptablen Komplexität –sowohl in technischer Hinsicht (logistischer Aufwand!!) – wie auch bezüglich des Anforderungsprofils an die Besatzung,
- zu extrem hohen Kosten (Entwicklung / Beschaffung/ und insbesondere: Nutzung) führen.
Es wird daher vorgeschlagen, dass das zukünftige Gefechtssystem aus mindestens zwei Kampffahrzeugen besteht:
- einem duellfähigen Fahrzeug,
- einem Kampf-Unterstützungspanzer für den Einsatz in urbanen Regionen.
Interessanterweise wird dieser Ansatz – u.a. aufgrund schlimmer Erfahrungen in Groszny – bereits seit Jahren in Russland verfolgt: Hier existiert auf dem Fahrgestell des KPz T-90 ein Unterstützungspanzer (BMPT) mit einem Bewaffnungs- und Schutzkonzept, welche auf den Einsatz in urbanen Regionen optimiert sind:
Bei weiterführenden Überlegungen zu einem zukünftigen Gefechtssystem wird erkennbar, dass es sinnvoll erscheint, für die vielfältigen, in Zukunft zu erwartenden Aufgaben, noch ein weiteres Unterstützungselement einzuführen. Durch diesen Führungs-Unterstützungspanzer könnten z.B.:
- die aufkommende Daten- und Informationsflut („Big Data“) für die den Führer der betreffenden Teileinheit oder Einheit selektiert und zu priorisiert werden,
- Aufklärungs- und Abwehrmittel für Drohnenangriffe appliziert werden.
- die Mitnahme und die Steuerung/Überwachung von Robotik-Elementen (UGV oder UAV) erfolgen.
Für diese Aufgaben benötigt dieses Unterstützungsfahrzeug einen möglichst großen Nutzraum. Hier würde sich somit ein frontgetriebenes Kettenfahrzeug anbieten.
Damit liegt die Bildung einer Fahrzeugfamilie unter Nutzung eines „common chassis“ nahe. D. h. für ein zukünftiges Gefechtssystem wird für die waffentragenden Varianten ein heckgetriebenes Fahrgestell und für das Führungs- Unterstützungsfahrzeug(e) (ggf. auch weitere Varianten) ein frontgetriebenes Fahrgestell vorgeschlagen. Dabei kann bei dem Triebwerk (in L-Anordnung) und dem Fahrwerk (bidirektional) eine möglichst große logistische Gleichheit angestrebt werden:
Die weitere, mögliche Aufteilung auf Einzelfahrzeug könnte im Rahmen einer Fahrzeugfamilie nach folgendem Schema erfolgen:
Frühere Überlegungen zur Realisierung einer einzigen Variante (z.B. Hecktriebler), hat bei dem Vorhaben „Neue gepanzerte Plattformen; NGP“ gravierende Probleme erkennen lassen. Da z.B. für die Varianten SPz, PzH oder TransportPz zwingend ein Fronttriebler benötigt wird.
Interessanterweise wird der oben beschriebene Ansatz (Front- und Hecktriebler in einer Familie) – seit einigen Jahren in Russland mit der ARMATA-Familie verfolgt und umgesetzt (T-14 und T-15).
Damit sollen die konzeptionellen Betrachtungen und Vorschläge für ein zukünftiges Gefechtssystem abgeschlossen werden.
Fazit:
Es wird vorgeschlagen, im Rahmen eines zukünftigen Gefechtssystems
- ein duellfähiges Kampfsystem
- ein Kampf-Unterstützungssystem für den Einsatz in urbanen Regionen
- ein (oder mehrere) weitere (Führungs-)Unterstützungssysteme für weitere Aufgaben
zu realisieren.
3. Technologie-Betrachtungen.
Nach Festlegung des Aufgabenspektrums aufgrund der Missions- und Bedrohungs- analyse und Überlegungen zu ersten Grob-Konzepten sind in der Folge umfassende und sorgfältige Überlegungen über die auszuwählenden Technologien durchzu – führen. Hierbei ist abzuschätzen, welche Technologien zum Zeitpunkt der geplanten Einführung der Systeme eine entsprechende Reife erreicht haben werden; hierzu können die sog. Technology Readiness Level (TRL) eine gewisse Hilfestellung geben:
Die Auswahl der relevanten Technologien für die Kampfwertkriterien Feuerkraft, Beweglichkeit, Schutz-/Überlebensfähigkeit und Führbarkeit ist eine absolute Gratwanderung und erfordert viel technisches Verständnis und Fingerspitzengefühl.
Die Wahl von disruptiven und revolutionären Technologien („game changer“) beinhaltet die Möglichkeiten:
- neue Funktionalitäten und neue Einsatzmöglichkeiten,
- neue Wirkprinzipien und Wirkmittel,
- ggf. deutlich höhere Leistungen
bei einem zukünftigen Gefechtssystem darzustellen. Zugleich beinhaltet dieser Weg ein deutlich höheres Entwicklungsrisiko und erfordert einen deutlich höheren Mittelaufwand. Die Gefahr ist groß, dass am Ende – trotz erheblicher Anstrengungen – keine truppentaugliche, bzw. einsatztaugliche Lösung erreicht werden kann. Beispiele hierfür gibt es genug:
- Kampfpanzer 70,
- Panzerschnellbrücke PSB 2,
- Entwicklung einer elektromagnetischen Kanone, bzw. eines „All Electric Vehicles,
- PzH CRUSADER (USA; flüssige Treibladung);
- Future Combat System FCS; (USA; Gewinnen von Gefechten durch Überlegen heit im Informationsraum, minimaler Schutz bei Einsatz von abstandsaktiven Schutzsystemen; Abstandsfähigkeit usw..),
- Ground Combat Vehicle GCV; (USA; Hybride Antriebe, übertriebene Schutzforderungen)
Bei dem anderen Weg werden eher konservative und bekannte Technologien betrachtet und eine evolutionäre Weiterentwicklung angestrebt. Damit sind die Entwicklungsrisiken, bzw. auch der technische, zeitliche und finanzielle Aufwand überschaubar. Hier besteht die Gefahr, dass mögliche technologische Potenziale nicht ausgeschöpft werden und am Ende nur eine begrenzte Verbesserung bei den Funktionalitäten und Leistungen erreicht werden können.
Es gilt, bei dieser Thematik den „goldenen Mittelweg“ zu finden – eine absolute Gratwanderung….
a) Beispiele für Technologien für feuerkraftbestimmende Baugruppen:
a1) revolutionäre Technologien:
- Hyper velocity – Missiles,
- Non Line of Sight – Flugkörper
- Laserwaffen 5 – 20 kW (als ergänzende Wirkmittel, z B. zur Drohnen-Abwehr),
- High Power Microwaves (HPM) (als ergänzende Wirkmittel, z B. zur Drohnen- Abwehr),
- SWIR-Sensoren.
a2) evolutionäre Technologien:
- Hochleistungs-Pulverkanonen im Kaliberbereich von 130 – 140 mm,
b) Beispiele für Technologien für beweglichkeitsbestimmende Baugruppen:
b1) revolutionäre Technologien:
- Diesel-elektrischer Antrieb; hybrid-Antriebe,
- aktive Fahrwerke,
b2) evolutionäre Technologien:
- Weiterentwicklung von Hochleistungs-Dieselmotoren,
- Schwungradgeneratoren
- semi-aktive Fahrwerke,
- Weiterentwicklung von hydropneumatischen Fahrwerken.
c) Beispiele für Technologien für überlebensfähigkeitsbestimmende Baugruppen:
c1) revolutionäre Technologien:
- elektrische Panzerung,
- cyber protection (Härtung); counter jamming,
c2) evolutionäre Technologien
- werkstoffseitige Optimierungen (Nano-Technologie; neuartige Legierungen, neuartige Werkstoffkombinationen (z.B. Keramik mit eingelagerter Faser-Matrix),
- abstandsaktive Schutzsysteme,
- sniper – Abwehr.
Erhebliche Entwicklungsaufwendungen werden in Zukunft zur Realisierung von Robotik-Elementen unternommen werden. Robotik-Elemente werden dabei vorwiegend zur Entlastung des Soldaten und zur Reduzierung von Bedrohungssituationen (bei „dirty-dull-dangerous“ – Situationen (D3-Lagen) und für Nachschubaufgaben eingesetzt werden:
- Minen-/IED-suchen / Minen-/IED-räumen,
- ABC-Geländeerkundung,
- für Aufklärungsaufgaben, Überwachungs-/Sicherungsaufgaben, Gewässererkundung,
- zur Bergung / Transport von Verwundeten
- evtl. als Täuschziele /Attrappen,
- ggf. auch für Kampfaufgaben / Verteidigung.
Bei der Technologieauswahl haben sich folgende Grundsätze bewährt:
- Man sollte keine neuen Technologien nur um der Technologie willen einführen!
- Man sollte keine neuen Technologien einführen, deren taktische Relevanz ver- nachlässigbar klein ist!
- Man sollte sich hüten, eine „innovative Technologie“ VOR einer Serienreife zu loben! – Stichwort: „Hype“;
- Hohe Systemleistungen sind wünschenswert – aber relevant ist nur, was die Besatzung in Gefechtssituationen tatsächlich umsetzen kann!
Neue Technologien müssen zwingend:
- panzertauglich und
- systemverträglich sowie
- einsatztauglich sein!
Hierzu bedarf es eingehender und umfassender Untersuchungen!
4. Schlussbemerkungen.
In dem Vortrag konnten nur einige, ausgewählte Aspekte angesprochen werden, die bei der Entwicklung eines zukünftigen Gefechtssystems relevant sind. Und diese Themen konnten auch nur sehr oberflächlich behandelt werden.
In der Realität erweist sich die Entwicklung und Auslegung eines zukünftigen Gefechtssystems als eine extrem anspruchsvolle und schwierige Aufgabe. Für eine erfolgreiche Waffensystementwicklung sind somit eine profunde Expertise und solide Erfahrungen bei dem Programmpersonal des Auftraggebers und des Auftragnehmers zwingende Voraussetzungen. Wie die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt haben, muss bei einer Waffensystementwicklung eine Vielzahl von günstigen Randbedingungen (militärisch, technisch, wirtschaftlich, politisch, organisatorisch usw.) vorliegen, damit nach einer langen Entwicklungszeit das Projekt am Ende zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden kann.
Und ein bisschen Glück gehört auch dazu.
Quelle: (Text und Bilder)
Rolf Hilmes
Wiss.Dir.a.D. / Dipl.Ing / Hptm d.R.